Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten Chirurgie
Der Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist an den meisten Behandlungszentren in der interdisziplinären Teambehandlung für die Durchführung der operativen Maßnahmen zuständig und häufig auch der hauptverantwortliche Leiter des Behandlungsteams.
Die chirurgischen Behandlungskonzepte können an den verschiedenen Behandlungszentren sehr unterschiedlich sein, meist sind sie abhängig von der individuellen Form der Spaltbildung und auch von der jeweiligen chirurgischen Erfahrung.
Die wesentlichen Schritte sind jedoch an vielen Zentren gleich oder zumindest sehr ähnlich:
Als erster operativer Schritt erfolgt im Alter von 3-6 Monaten der Verschluss der Lippe. Dies ist gewöhnlich mit einem mehrtägigen stationären Aufenthalt verbunden, die Mutter wird selbstverständlich mit aufgenommen.
Die größten Unterschiede im Operationszeitpunkt betreffen den Gaumen. Je nach Behandlungskonzept werden an den verschiedenen Zentren die Operationen am Gaumen zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 3. Lebensjahr durchgeführt. Dabei können entweder gleich beide Gaumenabschnitte (vorderer Gaumenabschnitt = „harter Gaumen“ als auch hinterer Gaumenabschnitt = „weicher Gaumen“) verschlossen werden, oder aber Ihr Behandlungsteam bevorzugt einen sogenannten zweizeitigen Verschluss, das heißt, weicher und harter Gaumen werden getrennt in zwei Operationen verschlossen. Die verschiedenen Varianten haben verschiedene Vor- und Nachteile, Ihr Behandlungsteam wird Ihnen sicherlich die Gründe für die Wahl des jeweiligen Behandlungskonzeptes bei Ihrem Kind genau erklären.
Warum es keinen einheitlichen „idealen“ Operationszeitpunkt für den Gaumen gibt, hat folgende Gründe:
Jede Operation am Gaumen hat das Ziel, den anatomisch richtigen Zustand wiederherzustellen, führt aber – wie jede Operation – auch zu Narben. Diese Narben können das weitere Wachstum des Oberkiefers hemmen. Rein vom Wachstum des Kiefers her gesehen wäre es günstiger, den Gaumen möglichst spät zu verschließen.
Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass für eine ungestörte Sprachentwicklung ein früher Verschluss des Gaumens (vor allem des für die Sprache wichtigeren weichen Gaumens) förderlich ist. Es gilt daher, diese Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Der Operationszeitpunkt wird daher immer eine Art Kompromiss sein, mit dem man versucht, die Nachteile gegenüber den Vorteilen möglichst gering zu halten. Weiters müssen natürlich auch andere Faktoren wie Allgemeinzustand der Kinder, Belastbarkeit für die Narkose bzw. Dauer der Operation usw. mit berücksichtigt werden.
Für diese(n) Eingriff(e) erfolgt ebenfalls eine stationäre Aufnahme (mit Mutter) für ca. 5 – 10 Tage.
In jedem Fall ist neben der Operation am Gaumen auch eine logopädische Betreuung zum Erreichen des gewünschten Behandlungsergebnisses wichtig und unerläßlich.
Einheitlicher ist wieder der Operationszeitpunkt für die Knocheneinlagerung in den Kieferspaltbereich („Osteoplastik“ oder „bone-grafting“ genannt). Diese Operation wird an den meisten Zentren im Alter von ca. 8-11 Jahren durchgeführt. (Auch hier kann es individuelle Gründe für einen früheren oder späteren Operationszeitpunkt geben). Dabei wird Knochen meist von der Hüfte (Beckenkamm) entnommen und in den Kieferspaltbereich eingelagert.
Neben diesen sogenannten „Primär-Operationen“ bei kompletten Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind auch je nach Erfordernissen und Wünschen der Patienten und Eltern auch noch sogenannte „Sekundär-Operationen“ bzw. Korrektureingriffe möglich.
Typische Sekundär-Operationen bzw. Korrektureingriffe sind:
Korrektur an der Lippe: (manchmal ist – auch bei optimalen ästhetischen Primärergebnissen je nach weiterem Wachstum eine Korrektur der Narbe an der Lippe erwünscht bzw. angezeigt).
Verschluss von sogenannten „Restlöchern“ (oro-nasalen Fisteln): Gerade bei sehr breiten Gaumenspalten kann es trotz sorgfältigster Operationstechnik postoperativ zum Auftreten eines kleines Loches am Gaumen, eben eines sogenannten „Restloches“ kommen. Dieses sollte - je nach Ausprägungsgrad - operativ verschlossen werden.
Nasenkorrektur: Diese ist bei Beteiligung der Lippe häufig notwendig bzw. erwünscht und wird idealerweise meist erst nach Abschluss des Wachstums durchgeführt.
Kieferkorrektur: in seltenen Fällen kann das Kieferwachstums so beeinträchtigt sein, dass neben der kieferorthopädischen Behandlung („Kieferregulierung“) auch ein kieferchirurgischer Korrektureingriff notwendig ist, um eine normale Position der Kiefer (vor allem des Oberkiefers) zu erreichen. Auch diese Eingriffe („Osteotomien“, „orthognath-chirurgische Eingriffe“) werden meist erst im Erwachsenenalter durchgeführt. Neuere Operationsmethoden („Distraktionsosteogenese“) ermöglichen auch schon eine frühere Behandlung. Welche Methode die bessere ist, hängt vom jeweiligen Befund ab.
Nasenstegverlängerung: dieser Korrektureingriff betrifft hauptsächlich die doppelseitigen Spalten und wird – wenn erforderlich – häufig im Vorschulalter durchgeführt.
Sprachverbessernde Operationen (oder besser sprechunterstützende Operationen) sind dann notwendig, wenn es trotz komplettem Gaumenverschluss und intensiver logopädischer Behandlung zu ausgeprägten Problemen bei der Sprache („offenes Näseln“, „Hypernasalität“) kommt, und sollten – wenn notwendig - in Absprache mit den behandelnden Sprachtherapeuten möglichst frühzeitig durchgeführt werden. --> Logopädie
Kraniofaziale Chirurgie
Die kraniofazialen Fehlbildungen umfassen Krankheitsbilder, die sowohl den Schädel (cranium) als auch das Gesicht (faciem) betreffen. Zu den Schädelfehlbildungen gehören Asymmetrien und Verformungen, die durch die Kopflagerung nach Geburt entstanden sind (lagebedingter Plagiocephalus), sowie die Kraniosynostosen, die bereits vor Geburt durch eine vorzeitige Verknöcherung einer oder mehrerer Schädelnähte verursacht wurden.
Kraniosynostosen können auch durch verschiedene Syndrome verursacht werden und sind dann häufig mit Gesichtsfehlbildungen und weiteren Erkrankungen verbunden. Zu diesen Syndromen zählen das Crouzon Syndrom, Apert Syndrom, Pfeiffer Syndrom, Saethre-Chotzen Syndrom oder Muenke Syndrom.
Zu den häufigsten Fehlbildungen des Gesichtsschädels gehören das Goldenhar Syndrom, das Franceschetti Syndrom sowie Gesichtsspalten.
Viele dieser Fehlbildungen sind sehr komplex und die Patienten werden daher von einem interdisziplinären Team betreut. In der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie findet einmal im Monat die Spezialsprechstunde für kraniofaziale Fehlbildungen statt. Weiterhin sind im Team des kraniofazialen Zentrums vor allem die Neurochirurgie, Kinderchirurgie, Hals-, Nasen und Ohrenheilkunde, Augenheilkunde, Logopädie, Kieferorthopädie und klinische Genetik involviert.
Die wichtigsten oben genannten Fehlbildungen mit den Behandlungskonzepten möchten wir im Folgenden kurz erläutern. Zum Formenkreis der kraniofazialen Fehlbildungen gehören noch viele weitere, allerdings sehr seltene Krankheitsbilder.
Aufgabe der Schädelnähte
In der folgenden Grafik sind die Schädelnähte beim Blick von oben auf den Kopf dargestellt. An den Kreuzungspunkten befinden sich die Fontanellen, die weichen Stellen des Säuglingskopfes, an denen das Gehirn nur bindegewebig bedeckt ist.
Die Schädelnähte ermöglichen bei der Geburt eine Verformung des Schädels, damit dieser durch den Geburtskanal im Becken passt. Nach der Geburt findet das Größenwachstum des Schädels durch Wachstum des Gehirns statt. Dieses drückt die Schädelknochen auseinander, an den Nähten findet eine Knochenneubildung statt. Bereits mit 2 Jahren hat das Gehirn etwa 80% der Erwachsenengröße erreicht, es ist daher der am schnellsten wachsende Körperteil. Nach Abschluss des Wachstums verknöchern die Schädelnähte. Kommt es zu einer vorzeitigen Verknöcherung einer oder mehrerer Schädelnähte, entstehen abnormale Kopfformen und Volumina. Das Wachstum ist quer zur verknöcherten Naht eingeschränkt, zum Ausgleich schafft sich das Gehirn mehr Platz entlang der entsprechenden Naht, es entstehen für die jeweilige Nahtverknöcherung typische Kopfformen.
Abnorme Schädelformen
Lagebedingter Plagiocephalus
Plagiocephalus bedeutet „Schiefkopf“. Eine Sonderform bei den Schädelfehlbildungen nimmt der lagebedingte Plagiocephalus ein. Hierbei liegt das Kind vermehrt auf einer Seite des Hinterkopfes. Der Schädel von Säuglingen ist noch verhältnismäßig weich und leicht verformbar. Durch den einseitigen Druck entsteht auf der betroffenen Seite eine Abflachung des Hinterkopfes und in ausgeprägteren Fällen eine Verschiebung des Ohres und Gesichtes auf der gleichen Seite nach vorne. Beim lagebedingten Plagiocephalus haben die Schädelnähte eine normale Funktion und es handelt sich um eine rein kosmetische Schädelverformung. Seit den Eltern seit den 90er Jahren empfohlen wird, die Kinder auf dem Rücken schlafen zu lassen, haben die Fallzahlen zugenommen.
Als Therapie sollte das Kind auf die prominente Hinterkopfseite gelagert werden. Dies kann, solange sich das Kind noch nicht selbständig dreht, durch eine orthopädische Matratze unterstützt werden. In ausgeprägten Fällen kann eine Helmtherapie sinnvoll sein. Eine operative Korrektur wird in keinem Fall durchgeführt.
Kraniosynostosen
Bei den Kraniosynostosen entsteht je nach vorzeitig verknöcherter Schädelnaht eine typische Kopfform. Ist nur eine Schädelnaht betroffen, sind funktionelle Auswirkungen nicht sehr häufig. Es kann aber in seltenen Fällen durch Einschränkung des Schädelwachstums zu einem erhöhten Hirndruck kommen. Daher ist eine regelmäßige Kontrolle der Patienten in einer Spezialambulanz für kraniofaziale Fehlbildungen sinnvoll. In regelmäßigen Abständen sollte von einem Augenarzt der Augenhintergrund untersucht werden, hier können sich Zeichen für einen erhöhten Hirndruck zeigen. Wenn keine syndromale Grunderkrankung vorliegt, kann in der Regel mit einer Operation im ersten bis zweiten Lebensjahr die Fehlbildung korrigiert werden und weitere Eingriffe sind nur sehr selten notwendig. Die Ursache ist bis heute nicht bekannt.
Therapie der Kraniosynostosen
Die Kopfform und das Wachstum lassen sich bei einer vorzeitig verknöcherten Schädelnaht nicht ausreichend durch Helmtherapie, Osteopathie, Physiotherapie oder Lagerungsmaßnahmen beeinflussen. Wenn nur eine sehr milde Ausprägung vorliegt, wird in manchen Fällen keine operative Therapie empfohlen. Meist wird aber bei einer Kraniosynostose eine operative Korrektur empfohlen. Die Art der Operation ist vom Alter des Patienten und der Art der Kraniosynostose abhängig.
Es gibt verschiedene Operationstechniken, die je nach Zentrum unterschiedlich angewendet werden.
Konstruktionsmerkmal.
Prof. DDr. Alexander Gaggl
Univ.-Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirugie
Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Universitätsklinikum Salzburg
Müllner-Hauptstr. 48
A-5020 Salzburg